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Bewusst und Unbewusst – Gibt es einen Ausweg aus der Matrix?
Bewusstsein Unbewusstes |
Von Mag. Claudia Fabrizy
Unser Bewusstsein funktioniert ähnlich wie in
dem Film „Matrix“: Es ist eine Benutzeroberfläche, die uns eine Welt vorspielt,
in deren Zentrum wir zu leben glauben. Wenn alles gut läuft, hinterfragen wir unser
Erleben nicht. Kommt es aber zu Störungen und psychischen Symptomen, stehen wir
wie Neo im Film „Matrix“ vor der Herausforderung, die unbewussten Vorgänge
hinter der Kulisse unter die Lupe zu nehmen.
Dass das Unbewusste
schwer zu fassen ist, überrascht nicht. Dass aber auch unser Bewusstsein nicht
das ist, was es zu sein scheint, provoziert den Verstand. „Die neueste empirische Forschung zeigt,
dass unser Bewusstsein ganz anders ist, als wir spontan zu wissen glauben. Es
erweist sich als eine Wirklichkeits- und Benutzerillusion“, sagt Udo
Boessmann, Arzt, Psychotherapeut und Dozent für Psychotherapie. In seinem Buch
„Bewusstsein - Unbewusstes“ geht er den Fragen nach, was wir eigentlich wissen
und wer wir wirklich sind. Dabei kommt er zu erstaunlichen Ergebnissen.
Entgegen der landläufigen
Meinung ist unser Bewusstsein nicht einfach „von Natur aus da“, sondern wird
durch die Kultur, in der wir leben, geformt. Unser Gehirn ist so konstruiert, dass wir von
frühester Kindheit an unsere soziale Umwelt imitieren; die so genannten
Spiegelneuronen springen automatisch an, ob wir wollen oder nicht. Bewusstsein ist also nicht etwas, das wir
„besitzen“, es ist etwas, das laufend interaktiv „hergestellt wird“. Selbst der
Eindruck, dass wir unsere Aufmerksamkeit willentlich steuern, ist meist eine
Täuschung. Die uns als objektiv erscheinende Wirklichkeit ist in Wahrheit von
uns selbst erzeugt; wir können die Welt nicht einfach auf direktem Weg bewusst
erleben. Sie wird von unserem Gehirn zuerst in neuronale Elementarereignisse
zerlegt und dann neu zusammengesetzt. Das so entstandene, extrem verkürzte Bild
von der Wirklichkeit ist notwendig, denn ohne es wären wir gar nicht
handlungsfähig. Um so schnell zu reagieren, wie das Leben es verlangt, müssen
wir – das hat uns die Evolution gelehrt – auf Genauigkeit verzichten.
Unsere Blindheit für Details
ist also ungemein nützlich. Sie kann aber auch zu viel Leid führen, wenn wir unsere Wirklichkeitsillusionen als die
ganze Wirklichkeit ansehen, z.B. bei Schubladendenken und Vorurteilen. „An einmal gelernten
Glaubenssätze und Verhaltensmustern halten wir gerne fest, auch wenn sie schon
lange nicht mehr geeignet sind, wichtige aktuelle Lebensanforderungen zu
bewältigen. Nicht selten werden Menschen oder ganze Systeme hierdurch krank“,
schreibt Udo Boessmann. Auch können sich in unserem emotionalen
Gedächtnis negative Erfahrungen hartnäckig erhalten und völlig unangemessene
Ängste hervorrufen.
Als Menschen haben wir
allerdings auch die Fähigkeit zur Metakognition und zum Perspektivenwechsel,
das heißt, wir können uns selbst und unser Denken hinterfragen und uns von
außen betrachten. Aufgabe von
Psychotherapie, Beratung oder Coaching ist es, dysfunktionale Muster zu
erkennen und zu verändern. Udo Boessmann gibt in seinem Buch
Praxistipps, wie wir an der Matrix unseres Bewusstseins arbeiten und unsere
Entwicklung in die eigene Hand nehmen können. Hier fünf Beispiele:
1. Staunend durch die Welt gehen
Oft ist unser Leben auf immer
wieder gleiche Probleme, Ängste und gewohnheits- oder suchtmäßige Vorlieben
eingeengt. Am Anfang der Philosophie und Spiritualität steht dagegen das
Staunen über Dinge, die andere für selbstverständlich halten. Wir müssen wieder
lernen, mit offenen und staunenden Kinderaugen durch die Welt zu gehen und sich
von ihrer Vielfalt emotional berühren zu lassen. Manchmal tut es gut, etwas
Neues, scheinbar Verrücktes zu erleben, etwas, das man noch nicht erfahren hat.
Um das Bewusstsein nachhaltig zu verändern, muss die Aufmerksamkeit neu
ausgerichtet werden. Diese veränderte Aufmerksamkeitsfokussierung kann man
trainieren, zum Beispiel durch Meditation oder in der Psychotherapie. Das
Vorbild und die Hilfe anderer sind dabei unverzichtbar.
2. Mit dem Körper arbeiten
Unser Bewusstsein ist sinnlich
und körpernah, Körper, Geist und Seele sind untrennbar miteinander verbunden.
Das Gehirn lernt und begreift nur zusammen mit dem Körper. Die Art wie wir uns
bewegen, wie wir unsere Sinne gebrauchen und Affekte ausdrücken ist das
Ergebnis einer langen Geschichte von Interaktions-Erfahrungen mit unserer
sozialen Umgebung. Alles, was wir je erlebt haben, wird in unserem Gehirn und unserem Körper gespeichert. Wenn wir
unser Bewusstsein verändern wollen, müssen wir daher auch den Körper
einbeziehen. Die verschiedenen Schulen der Körperpsychotherapie suchen Zugang
zu jenen nicht bewussten Faktoren, die für aktuelle Krankheitssymptome eine
wichtige Rolle spielen, sich sprachlich aber nicht fassen lassen. Darüber
hinaus bessern sich psychische Symptome oft, wenn man gestörte Körperfunktionen behandelt,
sei es etwa durch Hormonregulierung, Entlastung und Entgiftung des Organismus, Sport, Atemtechniken, Yoga und jede Art von
therapeutischer Arbeit mit dem Körper.
3. Füreinander da sein, Zeit haben, Zuhören
Der Ausdruck „sich etwas
von der Seele reden“ kommt nicht von ungefähr: Wir verarbeiten unsere Probleme,
indem wir darüber erzählen. In
der Psychotherapie geht es vor allem darum, die eigene, oft schmerzvolle
Lebensgeschichte in einem anderen Licht zu sehen, sie „umzuerzählen“, bis sie
akzeptiert werden kann. Je emotional belastender eine Situation war, desto
öfter muss davon erzählt werden. Dasein, Zeit haben und Zuhören (DAZZ) ist ein
Wundermittel, das jeder von uns anwenden kann. Wenn man anderen seelisch
beistehen will, gibt es oftmals gar nicht viel mehr zu tun, als in einer
Atmosphäre von Zeitlosigkeit spürbar da zu sein und ohne verfrühte Wertungen
und Ratschläge zuzuhören. „Hätten wir eine flächendeckende Kultur von DAZZ“, so
Boessmann, „dann hätte sich die Verordnung von Antidepressiva in Deutschland in
den letzten 15 Jahren vielleicht nicht verdreifachen und sich die
Inanspruchnahme von Psychotherapie vielleicht nicht verdoppeln müssen.“
4. Spannungen schöpferisch verwandeln
Als Natur- und Kulturwesen
geraten unsere Antriebe und emotionalen Bedürfnisse leicht in Konflikt mit den
Anforderungen der sozialen Umwelt. Die daraus resultierenden
„Inkonsistenzspannungen“ sind schmerzhaft und können ab einem bestimmten Ausmaß
sogar zu psychischen Erkrankungen führen. Wer seine inneren Spannungen einfach
loswerden will, zum Beispiel mit Ablenkung, Konsum und Suchtverhalten,
verschärft auf Dauer das Problem noch. Die Herausforderung besteht darin, sich
von alten Denkmustern zu befreien und die unausweichliche innere Zerrissenheit,
also unser Leiden, in einem übergeordneten Sinnzusammenhang zu transformieren.
Dies geschieht zum Beispiel, indem wir unser schöpferisches Potenzial
entfalten, uns einer erfüllenden Aufgabe widmen oder uns in den Dienst für
andere Menschen stellen.
5. Sinnerleben statt Glückssuche
Persönliches Glück
ist für viele das höchste Ziel. Eine Fülle von Ratgebern und Workshops lockt
mit einfachen Rezepten, wie dieses Glück in fünf Schritten oder mit zehn Regeln
hergestellt werden kann. Doch wer ständig nach mehr Genuss und Erfolg oder nach
Vermeidung von Unlust, Schmerz und Angst strebt, erlebt auf Dauer keine
(Er-)Lösung, sondern vermehrt sogar auf lange Sicht sein Leiden. Paradoxerweise
verstellt gerade das vehemente Streben nach Glücksmomenten den Weg für eine echte
Heilung des Einzelnen und der Gesellschaft. Unsere Form von Bewusstsein hat
sich nicht entwickelt, damit wir ständig glücklich sind. Als sich selbst
hinterfragende Wesen streben wir nach einem sinnerfüllten Dasein. Im sinnvollen
Tun und Selbstvergessen stellt sich das Glück dann als Nebeneffekt ein.
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