Freitag, 15. August 2014

Bewusst und Unbewusst - Ausweg aus der Matrix

  

 

Bewusst und Unbewusst – Gibt es einen Ausweg aus der Matrix?


Bewusstsein Unbewusstes

  Von Mag. Claudia Fabrizy

Unser Bewusstsein funktioniert ähnlich wie in dem Film „Matrix“: Es ist eine Benutzeroberfläche, die uns eine Welt vorspielt, in deren Zentrum wir zu leben glauben. Wenn alles gut läuft, hinterfragen wir unser Erleben nicht. Kommt es aber zu Störungen und psychischen Symptomen, stehen wir wie Neo im Film „Matrix“ vor der Herausforderung, die unbewussten Vorgänge hinter der Kulisse unter die Lupe zu nehmen.

Dass das Unbewusste schwer zu fassen ist, überrascht nicht. Dass aber auch unser Bewusstsein nicht das ist, was es zu sein scheint, provoziert den Verstand. „Die neueste empirische Forschung zeigt, dass unser Bewusstsein ganz anders ist, als wir spontan zu wissen glauben. Es erweist sich als eine Wirklichkeits- und Benutzerillusion“, sagt Udo Boessmann, Arzt, Psychotherapeut und Dozent für Psychotherapie. In seinem Buch „Bewusstsein - Unbewusstes“ geht er den Fragen nach, was wir eigentlich wissen und wer wir wirklich sind. Dabei kommt er zu erstaunlichen Ergebnissen.

Entgegen der landläufigen Meinung ist unser Bewusstsein nicht einfach „von Natur aus da“, sondern wird durch die Kultur, in der wir leben, geformt. Unser Gehirn ist so konstruiert, dass wir von frühester Kindheit an unsere soziale Umwelt imitieren; die so genannten Spiegelneuronen springen automatisch an, ob wir wollen oder nicht. Bewusstsein ist also nicht etwas, das wir „besitzen“, es ist etwas, das laufend interaktiv „hergestellt wird“. Selbst der Eindruck, dass wir unsere Aufmerksamkeit willentlich steuern, ist meist eine Täuschung. Die uns als objektiv erscheinende Wirklichkeit ist in Wahrheit von uns selbst erzeugt; wir können die Welt nicht einfach auf direktem Weg bewusst erleben. Sie wird von unserem Gehirn zuerst in neuronale Elementarereignisse zerlegt und dann neu zusammengesetzt. Das so entstandene, extrem verkürzte Bild von der Wirklichkeit ist notwendig, denn ohne es wären wir gar nicht handlungsfähig. Um so schnell zu reagieren, wie das Leben es verlangt, müssen wir – das hat uns die Evolution gelehrt – auf Genauigkeit verzichten.

Unsere Blindheit für Details ist also ungemein nützlich. Sie kann aber auch zu viel Leid führen, wenn wir unsere Wirklichkeitsillusionen als die ganze Wirklichkeit ansehen, z.B. bei Schubladendenken und Vorurteilen. „An einmal gelernten Glaubenssätze und Verhaltensmustern halten wir gerne fest, auch wenn sie schon lange nicht mehr geeignet sind, wichtige aktuelle Lebensanforderungen zu bewältigen. Nicht selten werden Menschen oder ganze Systeme hierdurch krank“, schreibt Udo Boessmann. Auch können sich in unserem emotionalen Gedächtnis negative Erfahrungen hartnäckig erhalten und völlig unangemessene Ängste hervorrufen.

Als Menschen haben wir allerdings auch die Fähigkeit zur Metakognition und zum Perspektivenwechsel, das heißt, wir können uns selbst und unser Denken hinterfragen und uns von außen betrachten. Aufgabe von Psychotherapie, Beratung oder Coaching ist es, dysfunktionale Muster zu erkennen und zu verändern. Udo Boessmann gibt in seinem Buch Praxistipps, wie wir an der Matrix unseres Bewusstseins arbeiten und unsere Entwicklung in die eigene Hand nehmen können. Hier fünf Beispiele:

1. Staunend durch die Welt gehen

Oft ist unser Leben auf immer wieder gleiche Probleme, Ängste und gewohnheits- oder suchtmäßige Vorlieben eingeengt. Am Anfang der Philosophie und Spiritualität steht dagegen das Staunen über Dinge, die andere für selbstverständlich halten. Wir müssen wieder lernen, mit offenen und staunenden Kinderaugen durch die Welt zu gehen und sich von ihrer Vielfalt emotional berühren zu lassen. Manchmal tut es gut, etwas Neues, scheinbar Verrücktes zu erleben, etwas, das man noch nicht erfahren hat. Um das Bewusstsein nachhaltig zu verändern, muss die Aufmerksamkeit neu ausgerichtet werden. Diese veränderte Aufmerksamkeitsfokussierung kann man trainieren, zum Beispiel durch Meditation oder in der Psychotherapie. Das Vorbild und die Hilfe anderer sind dabei unverzichtbar.

2. Mit dem Körper arbeiten

Unser Bewusstsein ist sinnlich und körpernah, Körper, Geist und Seele sind untrennbar miteinander verbunden. Das Gehirn lernt und begreift nur zusammen mit dem Körper. Die Art wie wir uns bewegen, wie wir unsere Sinne gebrauchen und Affekte ausdrücken ist das Ergebnis einer langen Geschichte von Interaktions-Erfahrungen mit unserer sozialen Umgebung. Alles, was wir je erlebt haben, wird in unserem Gehirn und unserem Körper gespeichert. Wenn wir unser Bewusstsein verändern wollen, müssen wir daher auch den Körper einbeziehen. Die verschiedenen Schulen der Körperpsychotherapie suchen Zugang zu jenen nicht bewussten Faktoren, die für aktuelle Krankheitssymptome eine wichtige Rolle spielen, sich sprachlich aber nicht fassen lassen. Darüber hinaus bessern sich psychische Symptome oft, wenn man gestörte Körperfunktionen behandelt, sei es etwa durch Hormonregulierung, Entlastung und Entgiftung des Organismus, Sport, Atemtechniken, Yoga und jede Art von therapeutischer Arbeit mit dem Körper.

3. Füreinander da sein, Zeit haben, Zuhören

Der Ausdruck „sich etwas von der Seele reden“ kommt nicht von ungefähr: Wir verarbeiten unsere Probleme, indem wir darüber erzählen. In der Psychotherapie geht es vor allem darum, die eigene, oft schmerzvolle Lebensgeschichte in einem anderen Licht zu sehen, sie „umzuerzählen“, bis sie akzeptiert werden kann. Je emotional belastender eine Situation war, desto öfter muss davon erzählt werden. Dasein, Zeit haben und Zuhören (DAZZ) ist ein Wundermittel, das jeder von uns anwenden kann. Wenn man anderen seelisch beistehen will, gibt es oftmals gar nicht viel mehr zu tun, als in einer Atmosphäre von Zeitlosigkeit spürbar da zu sein und ohne verfrühte Wertungen und Ratschläge zuzuhören. „Hätten wir eine flächendeckende Kultur von DAZZ“, so Boessmann, „dann hätte sich die Verordnung von Antidepressiva in Deutschland in den letzten 15 Jahren vielleicht nicht verdreifachen und sich die Inanspruchnahme von Psychotherapie vielleicht nicht verdoppeln müssen.“

4. Spannungen schöpferisch verwandeln

Als Natur- und Kulturwesen geraten unsere Antriebe und emotionalen Bedürfnisse leicht in Konflikt mit den Anforderungen der sozialen Umwelt. Die daraus resultierenden „Inkonsistenzspannungen“ sind schmerzhaft und können ab einem bestimmten Ausmaß sogar zu psychischen Erkrankungen führen. Wer seine inneren Spannungen einfach loswerden will, zum Beispiel mit Ablenkung, Konsum und Suchtverhalten, verschärft auf Dauer das Problem noch. Die Herausforderung besteht darin, sich von alten Denkmustern zu befreien und die unausweichliche innere Zerrissenheit, also unser Leiden, in einem übergeordneten Sinnzusammenhang zu transformieren. Dies geschieht zum Beispiel, indem wir unser schöpferisches Potenzial entfalten, uns einer erfüllenden Aufgabe widmen oder uns in den Dienst für andere Menschen stellen.

5. Sinnerleben statt Glückssuche

Persönliches Glück ist für viele das höchste Ziel. Eine Fülle von Ratgebern und Workshops lockt mit einfachen Rezepten, wie dieses Glück in fünf Schritten oder mit zehn Regeln hergestellt werden kann. Doch wer ständig nach mehr Genuss und Erfolg oder nach Vermeidung von Unlust, Schmerz und Angst strebt, erlebt auf Dauer keine (Er-)Lösung, sondern vermehrt sogar auf lange Sicht sein Leiden. Paradoxerweise verstellt gerade das vehemente Streben nach Glücksmomenten den Weg für eine echte Heilung des Einzelnen und der Gesellschaft. Unsere Form von Bewusstsein hat sich nicht entwickelt, damit wir ständig glücklich sind. Als sich selbst hinterfragende Wesen streben wir nach einem sinnerfüllten Dasein. Im sinnvollen Tun und Selbstvergessen stellt sich das Glück dann als Nebeneffekt ein.

Mehr zum Buch "Bewusstsein und Unbewusstes"

Bewusstsein Unbewusstes bewusst unbewusst 

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